Die große Stärke von Belegschaftsaktien
Im Interview gibt Gerd Kuhlmeyer, Vorstand des Vereins Gemeinschaft der VW-Belegschaftsaktionäre e.V., Einblicke in die Aufgaben seiner Organisation. Aktionäre können ihre Stimmrechte auf den Verein übertragen.
Herr Kuhlmeyer, mögen Sie uns etwas zur Historie Ihrer Organisation erzählen? Wann und mit welcher Zielsetzung wurde der Verein gegründet?
Gerd Kuhlmeyer: Die Gemeinschaft der VW-Belegschaftsaktionäre e.V. (GVB) wurde als „VW-Aktionärs-Verein für Angehörige der Volkswagenwerk AG“ am 2. März 1961 im Zusammenhang mit der Umwandlung und Privatisierung der Volkswagenwerk GmbH - wie Volkswagen damals hieß – gegründet. Das Kapital hielten nach der Umwandlung zu je 20 Prozent die Bundesrepublik und das Land Niedersachsen; der Rest war Streubesitz.
Aus Anlass der Privatisierung wurden damals rund 25 Millionen DM bereitgestellt und so die Möglichkeit geschaffen, dass jeder Beschäftigte Volkswagenaktionär werden konnte. Jeder Beschäftigte hatte die Möglichkeit, neun Aktien - auf Wunsch auch in Raten – zu kaufen und erhielt dann eine VW-Aktie im Wert von 350 DM gratis. Insgesamt nahmen 63.000 Beschäftigte das Angebot an.
Hauptanlass für die Gründung des Aktionärs-Vereins war die Zielsetzung, die Wahrnehmung der Rechte aus der Aktie nicht Außenstehenden zu überlassen, sondern die Interessenvertretung der VW-Belegschaftsaktionäre selbst in die Hand zu nehmen. Aus dieser Zielsetzung resultierten anfangs folgende Aufgaben:
- Aufklärung der Beschäftigten über das Aktienangebot und Werbung für die Teilnahme
- Vertreten der Interessen der Belegschaftsaktionäre (u.a. aushandeln der Ratenzahlung)
- Eintreten für eine vernünftige Dividendenpolitik • Ausübung der Stimmrechte der Mitglieder
Seit den Gründungsjahren hat sich einiges getan. Wie sieht Ihre Arbeit heute aus?
Seit der Gründung vor nunmehr 61 Jahren hat sich in der Tat viel getan. 1990 war da ein einschneidendes Jahr. Der bisher für alle Belegschaftsaktionäre offene Verein wurde durch eine Satzungsänderung auf eine Mitgliederzahl von 40 reduziert. Die Beschränkung erfolgte, um den organisatorischen Aufwand zu begrenzen, hat bis heute Gültigkeit und ist der Tatsache geschuldet, dass alle Vereinsfunktionen ehrenamtlich ausgeübt werden. Der Vereinszweck und die Arbeit selbst haben sich dabei nicht so sehr geändert.
- Wir vertreten die Belegschaftsinteressen in den Hauptversammlungen der Volkswagen AG
- Wir unterstützen die VW-Aktionäre - insbesondere die Belegschaftsaktionäre – bei der Ausübung ihrer Rechte, insbesondere ihrer Stimmrechte
- Wir fordern die Fortführung und Weiterentwicklung einer Kapitalbeteiligung der Belegschaft am Unternehmen und
- Wir verteidigen das VW-Gesetz und treten für eine Sicherung der Beschäftigung ein.
Wenn Sie sich zurückerinnern: Was waren große Meilensteine in der Vereinstätigkeit?
Ein Meilenstein in der Vereinstätigkeit war natürlich die bereits erwähnte Neuorganisation des Vereins. Daneben zu erwähnen ist die Begleitung der Ausgabe der Gratisaktie anlässlich des 50-jährigen VW-Jubiläums 1988 sowie der Vorzugsaktienaktion in den Jahren 1991 bis 1998. Ein besonderer - aber äußerst negativer und unangenehmer - Punkt für uns war die Diesel-Thematik. Sie war der Schwerpunkt unserer Redebeiträge auf den VW-Hauptversammlungen ab 2016.
Sie verstehen sich immer auch als Bindeglied zwischen der Unternehmensführung und der Arbeitnehmervertretung. Wenn Sie für uns im Nähkästchen kramen: Klappt dies immer reibungslos oder gab es auch schon Konfliktsituationen?
Ja, in der Tat verstehen wir uns als Bindeglied zwischen diesen beiden Akteuren. Auf Ihre Frage nach dem Nähkästchen möchte ich Ihnen wie folgt antworten:
In meiner aktiven VW-Zeit wurde eine „vertrauensvolle und kooperative Konfliktbewältigung ganz großgeschrieben. Diese Maxime beinhaltet neben Kompromissbereitschaft u.a., dass man gewisse Themen und Meinungsunterschiede „im Betrieb hält“. Heute habe ich zwar den Eindruck, dass diese Maxime nicht mehr in allen Fällen so wertgeschätzt wird. Ich aber halte mich bei der Beantwortung Ihrer Frage nach dem Nähkästchen daran.
In den vergangenen Jahren hatten die Kunden der Volkswagen Bank Ihren Verein bereits mit Stimmrechtsvollmachten für die VW-Hauptversammlungen unterstützt. Wie können unsere Kunden Sie ebenfalls in ihrer Arbeit unterstützen?
Ihre Frage hat für mich zwei Aspekte: Zum einen die Unterstützung durch die VW-Bank und zum anderen durch die VW-Bank-Kunden. Die Unterstützung durch die VW-Bank bestand darin, dass die VW-Aktionäre, die ihre VW-Aktien bei der Depotbank hatten, mit der die VW-Bank kooperierte, zusammen mit der Einladung zu den VW-Hauptversammlungen eine schriftliche Information unseres Vereins erhalten haben. Diese Vereinsinformation enthielt ein Formular, mit dem der Einzelne lediglich durch Ankreuzen und Unterschrift seine Stimmrechte auf unseren Verein übertragen konnte. Ein entsprechendes Verfahren könnte jetzt die Unterstützungsleistung der Wallstreet Capital AG sein.
Die Unterstützung der Aktionäre bestand in der Vergangenheit in der Stimmrechtsübertragung auf uns und würde auch in Zukunft darin liegen. Denn eines ist doch klar: „Je mehr Stimmrechte wir vertreten, desto mehr Resonanz können wir erzielen.“
Aktien wurden im Zuge der Pandemie für immer mehr Menschen interessant. Das Deutsche Aktieninstitut (DAI) zählte im vergangenen Jahr knapp 12,1 Millionen deutsche Anleger, die in Aktien, Aktienfonds oder ETFs investiert waren. Wie bewerten Sie diese Entwicklung und warum führt an Aktien aus Ihrer Sicht kein Weg vorbei?
Die Mehrheit der Sparer in Deutschland ist immer noch zurückhaltend bei der Investition in Aktien, Aktienfonds etc. Das hat sicherlich seinen Grund darin, dass Aktien zwar mittel- und langfristig durchaus interessante - vielleicht sogar im Moment alternativlose – Geldanlagen sind, aber natürlich auch nicht unerhebliche Risiken bergen, wie man aktuell an den Entwicklungen an den Börsenkursen ablesen kann.
Wie man Chancen und Risiken persönlich einschätzt und welche Konsequenzen man daraus zieht, muss jeder für sich und möglichst nach fachkundiger Beratung entscheiden.
Ich bin kein „Börsianer“ oder Anlagenberater. Ich bin persönlich und erst recht als Vorsitzender der GVB in der Hauptsache ein Belegschaftsaktionär bzw. -vertreter. Und da gelten durchaus andere Parameter als ausschließlich Renditegesichtspunkte. Für die Beschäftigten dokumentieren Belegschaftsaktien eine besondere Verbundenheit und einen Vertrauensbeweis dem eigenen Arbeitgeber gegenüber. Interessant ist, was börsennotierte Unternehmen nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts 2013 aus Arbeitgebersicht als mögliche Motive von Aktienangeboten an die Belegschaft genannt haben. Dies sind u.a. bessere Identifikation der Belegschaft mit dem Unternehmen, höhere Mitarbeiterbindung, höhere Arbeitgeberattraktivität, Mitverantwortung der Beschäftigten, bessere Motivation und Produktivität sowie attraktive Unternehmenskultur und flexible Vergütungskomponente.
In Anbetracht dieses Motivbündels ist es kaum nachvollziehbar, dass Belegschaftsaktien in Deutschland nur eine so untergeordnete Rolle spielen. Das gilt aktuell leider auch bei Volkswagen.
Aktuell belasten Lieferengpässe die Produktion bei VW. Welche Trends lassen sich für die Kursentwicklung der VW-Aktie ableiten bzw. worin liegen die großen Stärken des Werts?
Natürlich leidet auch der Kurs der VW-Aktie unter den Lieferengpässen (und ganz aktuell unter den Geschehnissen in der Ukraine) und es ist nicht abzusehen, wann die negative Entwicklung enden wird, wobei der generelle Negativtrend immer einmal wieder kurzfristig durch positive Einflüsse unterbrochen wird. Die Stärke der VW-Aktie liegt m.E. in der Innovationskraft, der Stabilität und Profitabilität des Konzerns und seiner Marken.
Haben Sie für sich privat eine bestimmte Börsenregel, die Sie versuchen umzusetzen?
Da muss ich Sie fast enttäuschen. Ich hatte vorhin gesagt, dass ich überzeugter Belegschaftsaktionär bin. Da gelten nicht nur Renditegesichtspunkte. Dies macht sich auch in meiner - sonstigen - Anlagestrategie bemerkbar. Zum einen lasse ich mich ausführlich beraten und zum anderen setze ich neben dem VW-Konzern auf innovative und nachhaltige Branchen sowie auf eine breite Streuung.
Herr Kuhlmeyer, vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen!